Playboy 01/2005
(mit freundlicher Genehmigung von H. Fiegel vom 04.01.2005)
Fotos mit freundlicher Genehmigung von Carsten Koall

Schützenfest in Erfurt


Revolver im Kaliber .454 Casull
einige Pistolen liegen auf einem Tisch

Schmuckkästchen für Waffenfans:
Über allem thront die Casull 454, stärkster
Revolver der Welt

 


Revolver im Kaliber .454 Casull mit Mündungsfeuer

Kraft, die es zu bändigen gilt:
Der Schweizer Guido Wasser feuert
mit der Casull 454 Magnum

Ein verlassener Armeeposten in Thüringen. Hundert Männer huldigen der stärksten Handfeuerwaffe der Welt - der Casull 454. Sie schießen auf Scheiben und Schweine aus Stahl. Und räumen nebenbei mit den Ballermythen von Hollywood auf

Sie ist groß. Größer als gedacht und wuchtiger. Aber ihre kalte Eleganz macht sie scheinbar schwerelos.
   Die aufgekratzten Kerle, die sie im Halbkreis bewundern und berühren, streicheln und fotografieren, schweigen ehrfürchtig. Eine Casull 454 gibt's in Deutschland nur selten zu sehen, geschweige denn zu schießen.
   Die wenigen Männer, die dazu überhaupt fähig sind, wissen um die Kraft und Macht der Waffe. Und um die Lautstärke, die geradezu martialisch ist.
   Die Männer bleiben ruhig, während sie ihr Ziel anvisieren. Sie treffen. Gleichzeitig hält irgendwo da draußen der Bundespräsident eine Rede zur deutschen Einheit. In Sichtweite beinahe, in Erfurt, "in der Stadt

des Bösen". Man könnte sich die Reaktion der Medien vorstellen auf einen europäischen Revolverwettstreit in der Stadt des verhaltensgestörten Schulattentäters Robert Steinhäuser. Aber die Männer auf dem Schießplatz haben dafür gesorgt, dass niemand von ihrem Wettkampf erfährt. Keine Werbung, keine Hinweisschilder, Gesichtskontrolle.
   Hundert Pistoleros aus ganz Europa haben sich hier heimlich versammelt, um die besten Schützen zu küren. Auf einem umzäunten Übungsgelände der ehemaligen Kampfgruppen der NVA, im Schatten eines verwitterten Wachturms, schießen die Männer um die Wette. Keine Spinner, keine Nazis oder Aufschneider. Vielmehr besserverdienende Familienväter und mittelständische Handwerksmeister.

 


Gürtelschnalle 454 Casull Revolver

Der 3000-Euro-Revolver: Wer
eine Casull 454 kaufen will, muss
den Gürtel enger schnallen

Guido Wasser, 56, Ex-Offizier der Schweizer Armee, verbreitet Begeisterung für "den besten Revolver der Welt": Es gab, erzählt er, "einen genialen Konstrukteur namens Dick Casull. Der entwickelte eine Patrone, bei der normale Revolver auseinander flogen. Die Firma Freedom Arms in Wyoming baute dann die passende Waffe dazu."
   Die Casull 454 gilt als stärkster Revolver der Welt. "Bärenjäger nehmen sie gern", erzählt Wasser. Er greift die Waffe, zielt und trifft. Einfach so, als trinke er ein Bier am Tresen. Ein Mann und sein Revolver. Ein archaischer Mythos, der in Zeiten von Bits und Bytes fast schon museal anmutet.
   Bereits das Laden der fingerdicken Munition wird wie ein meditativer Moment zelebriert, jeder Abzug genau auf den Schützen eingestellt. Denn anders, als man nach den Action-Filmen aus Hollywood vermutet, ist der Abzug selbst eines solch gigantischen Revolvers sensibel wie eine Geigensaite.
   Der Schweizer Offizier schießt eine 44er- Magnum, seit dem Film "Dirty Harry"

mit Clint Eastwood in der Hauptrolle eine weitere Ikone der Neuzeit. Der Rückstoß katapultiert den ganzen Mann zur Seite. Links und rechts schießt eine Flamme heraus, ein Feuerball. Die Wucht ist gewaltig. Aber noch immer harmlos gegen eine 454er- Casull: Ein ungeübter Schütze würde die Waffe rückstoßbedingt glatt zwischen Nase und Stirn spüren.
   "Schießen ist eine Kunst", sagt Frank Reiche, 48, der Veranstalter dieses Freedom- Arms-Shot in Deutschland, das außerhalb der USA weltweit nur in Erfurt stattfindet. Reiche zählt zu den international renommiertesten Allround-Schützen. Er studierte Psychologie, besitzt heute eine Immobiliengesellschaft: und ist so eine Art Philosoph der Revolverschützen. Ein charmanter, gebildeter Bonvivant, den es unermesslich ärgert, mit Psychotikern in einen Topf geschmissen zu werden. "Schießen", sagt er, "ist eine ganz einzigartige Sportart. In den meisten anderen Disziplinen werden äußere Leistungen, rohe Kraft und Muskeln gefordert. Beim Schießen hingegen

zählt die innere Leistung: Ruhe."
   So wie beim Bogenschießen. Nur mit dem Unterschied, dass diese Sportart salonfähig ist, auch bei Pazifisten und Volkshochschullehrerinnen. "Dabei ist ein Bogen genauso tödlich, ja sogar noch brutaler - weil völlig lautlos", sagt Reiche. Die Männer, die ihm zuhören und nicken, kommen aus Holland, Tschechien, der Schweiz, Italien, Frankreich, Belgien und den USA. Hier in Erfurt können sie draußen schießen, nicht in einer dunklen, miefigen Kellerhalle wie sonst.
   Die Schützen tragen ihre Metall- und Lederkoffer zwischen Grillrost und Parkplatz umher. Spaziergänger könnten sie glatt für Musiker auf dem Weg zu einem Konzert halten. "Höllenenergie" könnte ihr Konzert heißen. "Es gibt Männer, die sind groß und stark, haben aber Schmerzen, wenn sie eine Casull schießen. Im Ellbogen, in den Handgelenken", erklärt Reiche.
   Schießen ist kompliziert. Wer mit einer Kurzwaffe auf 200 Meter treffen will, muss den Wind berücksichtigen, die Patrone,



Wie Hollywood beim Ballern blufft:

Jeder Schuss ein Treffer - die meisten Kinohelden wären schon längst taub oder tot, würden sie ballern wie im Film

Clint Eastwood wurde als Dirty Harry berühmt
Schießen mit gekreuzten Armen
Quentin Tarantino in Pulp Fiction

Clint Eastwood wurde als Dirty Harry berühmt - welche Gewalt der Rückstoß seiner 44er- Magnum entwickelt, sieht man im Film nicht. Und das Schießen im geschlossenen Raum würde Harrys Trommelfell nicht schadlos überstehen.

Schießen mit gekreuzten Armen, gern auch mit zwei Pistolen zugleich. Sieht spektakulär aus wie im Film "Once Upon aTime in Mexico". Hat in der Realität aber einen entscheidenden Nachteil: So treffen selbst geübte Schützen nicht. Ob Antonio Banderas das weiß?

Quentin Tarantino hat in "Pulp Fiction" neue Schusshaltungen eingeführt. Lässig zur Seite, mit halb gehobenem Arm, aber immer quasi anstrengungslos. Ebenso unrealistisch ist, dass die Opfer in seinen Filmen drei Meter durch die Luft fliegen.

 


Der Schießstand mit zwei Schützen

Ballermänner in Erfurt: Sie leiden unter
ihrem schlechten Image - sie wollen lieber
mit Bogenschützen verglichen werden
als mit Action-Helden

die Waffe, sogar das Tageslicht. Auch Luftdruck und Temperatur verändern den Geschossflug. Bei einer solchen Entfernung gerät die Kugel ins Trudeln, bis sie am Ziel 50 Prozent ihrer Geschwindigkeit eingebüßt hat. Dann noch präzise zu treffen ist eine Herausforderung - hundertmal größer, als den Zuschauern in den Action-Filmen vorgegaukelt wird.
   Die Ballerei made in Hollywood ist dagegen eher läppisch. Die ungeheure Wucht, die Kraft, nicht einmal der Lärm einer richtigen Schießerei wird dort angedeutet. "Wer einmal wirklich geschossen hat", sagt Reiche, "entwickelt augenblicklich Verantwortungsgefühl. Und Disziplin."
   Guido Wasser nickt zustimmend. Er schießt gerade auf "Flying Pigs", gelbe Stahlschweine, die zwischen Autoreifen stehen. Gerüchteweise war Wasser Leiter verschiedener militärischer Aktionen in Westafrika, um mit Hilfe von britischen und skandinavischen Söldnern Europäer zu evakuieren. "Film und Realität haben kaum eine Gemeinsamkeit", sagt er und legt neue Patronen ein, "angefangen bei den Cowboyfilmen, wo die Schützen gern auf dem Bauch liegen und ballern, was das Zeug hält. Der Rückstoß würde ihnen die Waffe unentwegt ins Gesicht hauen. Oder bei einem Duell aus der Hüfte zu schießen - das heißt ins Leere schießen. Selbst geübte Schützen schaffen das nicht."
   Reiche und Wasser sehen in diesen Filmbildern mehr als nur eine amüsante Verirrung. Sie vermuten hier den Grund für das schlechte Image der Schützen. Doch beide wissen auch, dass sie

chancenlos bleiben gegen die Macht der Bilder. Gegen asiatisches und amerikanisches Popcorn-Kino, bei dem es inzwischen zum Standard gehört, mit zwei Pistolen zu schießen - die Hände übereinander gekreuzt. Die Projektile treffen trotzdem auf einer geraden Linie. "Unmöglich", sagt Wasser und zielt aufrecht auf eine Scheibe in 100 Meter Entfernung. "Wer die Waffe schief hält, trifft nichts mehr, rein gar nichts."
   Genauso unsinnig ist, dass der Getroffene von der Wucht des Geschosses drei Meter nach hinten fliegt. "Das ist physikalisch nicht möglich. Dann müsste der Schütze nämlich auch drei Meter nach hinten fliegen."
   Bruce Willis aber bleibt immer locker stehen. Oder er versteckt sich vor einer MG-Salve hinter einem parkenden Auto. "Schwachsinn", sagt der Schweizer und bewertet durch ein Fernglas die Trefferquote am Horizont. Nur der Kühlerblock halte Kugeln ab, alles andere schütze wie Butter. Selbst Bäume durchdringen die Projektile, wenn es nicht gerade meterdicke Eichen sind.
   Im Film verfügen die Pistolen über schier unendliche Magazinkapazitäten. Dabei fasst eine Pistole gerade mal ein gutes Dutzend Patronen. Immerhin: Bruce Willis nutzt die kurze Feuerpause, um hinter dem schützenden Auto mal eben das Magazin zu wechseln. Das ist sogar realistisch - aber danach müsste er bei jeder Pistole auch noch den Fanghebel des Schlittens drücken, und der ist äußerst schwergängig.

Stürmt Willis dann zum Showdown in ein Zimmer und mäht alle Gangster mit seiner 44 Mag nieder - müsste er die Szene eigentlich mit einem irreparablen Gehördefekt verlassen. Aber das passiert in Hollywood natürlich nicht.
   "Generell ist ein reales Feuergefecht extrem laut. Alle im Umkreis von zehn Metern einer Waffe müssen mit Gehörschäden rechnen",

Schütze mit Schießbrille und Gehörschutz
sagt Wasser. Er hat solche Situationen erlebt. Er weiß, wovon er redet. Doch er weiß auch, dass der Unterschied zwischen Tarantino und Tatsache kaum noch zu vermitteln ist.
   "Wie oft habe ich schon gehört, dass Killer unbemerkt mit Schalldämpfer schießen. Weil man das in Filmen sieht! Aber auch gute Schalldämpfer-Waffen sind in Wahrheit laut. Es gibt ganz wenige Spezialkonstruktionen, die vielleicht so leise wie ein Luftgewehr sind, aber auch die machen mehr Lärm als das zarte "Puff" von James Bond. Hätte der auf seine Beretta einen guten Dämpfer geschraubt und sogar Unterschall-Munition benutzt - die es nur in Handarbeit gibt -, wären die Hotelbewohner im Nachbarzimmer trotzdem aus den Betten gefallen. Ach, es ist sinnlos ..."
   Guido Wasser zuckt mit den Schultern. Am schlechten Image seines Sports kann er nichts ändern. Da konzentriert er sich lieber auf die Casull 454 in seiner Hand. Hier irgendwo im Osten Deutschlands. Er zielt — ohne über den Tod oder irgendwelche verrückten Täter nachzudenken. Bei diesem Schuss trifft er nicht.
  Guido Eckert


Aktualisiert:  09.02.2005